Rezension zu:
REVANCHE
Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat
Verlag C.H.Beck, 2023
Zu den Lügen und Gemeinheiten polit-moralischer Sicht
auf den Russen-Krieg gegen die Ukraine aus dem Geist des
westlichen Imperialismus
„...Das Jahr 2022 brachte den Krieg nach Europa zurück. Es ist das größte Beben seit dem Zweiten Weltkrieg und hat das Leben der Europäer tiefgreifend verändert. Und wir befinden uns erst am Anfang. Putins verbrecherischer Angriffskrieg hat Zehntausenden Ukrainern und Ukrainerinnen das Leben geraubt, er hat Millionen das Dach über dem Kopf weggerissen und sie zu Flüchtlingen gemacht. Der europäische Kontinent ist in eine tiefe Wirtschaftskrise gestürzt, von der niemand weiß, wann und wo sie endet. Schnelle Geldentwertung und eine Knappheitskrise erschüttern viele Staaten, auch im globalen Süden. An den Folgen dieses Krieges wird die Menschheit noch Jahre zu tragen haben. Die Ursachen liegen nicht in geopolitischen Großmacht-Konkurrenzen oder kapitalistischen Spekulationsstürmen. Schuld daran sind ein Mann, sein Regime und seine Unterstützer. Sie haben ohne Not und ohne Bedrängnis, aber mit imperialer Gebärde ein Nachbarland überfallen...“
Was die Diagnosen und Urteile auszeichnet, ist der Entschluss, in Bezug auf die Auslösung des Ukraine-Krieges jeden sachlichen Grund, herrührend aus dem Verhältnis der in einem Krieg direkt oder mittelbar involvierten Parteien, für nichtig zu erklären. Dies kulminiert in der dummen Tautologie: alles, Krieg, Wirtschaftskrise gleich weltweit hätten einen einzigen Kristallisationspunkt: Putin, indem, als was der Autor ihn als bösartige Charaktereigenheit, „hemmungsloser Imperialist“, zuschreibt. Krieg und wirtschaftlich Ruinöses als Ausweis des Zerstörerischen eines per se „hemmungslosen Imperialisten“; erstere als einseitige Herkunftsbestimmung und Zwecksetzung aus letzterem heraus: ein Königsweg, Gegensätzen in der Staatenwelt, wo wenigstens zwei Parteien unterstellt sind, einen begründeten politischen Gehalt in der Hinsicht abzusprechen, wie die Interessen von Staaten (einschließlich derjenigen jenseits russischen Hoheitsgebiets) im Verhältnis zueinander beschaffen sind, dass sie unverträglich miteinander werden.
Das fängt schon mit der Lüge an, der russische Einmarsch in die Ukraine habe den Krieg nach Europa zurückgebracht, also so tuend, als hätte es nicht einen Jugoslawien-Krieg des Westens gegeben. Der ist gar erst erwähnenswert, weil einer der als gut apostrophierten Seite, des Westens. Der Krieg des Russen als Kennzeichen eines politischen Psychopathen Putins soll so einen einmaligen schlechten Stellenwert einnehmen. „Imperialistische Obsession“ hat der Russen-Hetzer als entpolitisierende, psychologische Kategorisierung dafür parat.
Wirtschaftskrise,
Geldentwertung,
Knappheitskrise: auch dies ginge einseitig als Schuldfrage aufs
Konto eines einzigen Mannes. Da kann man mal eben vergessen, welche
Rolle die Gegenseite darin einnimmt, die nämlich als
Gegenkriegsprogramm auf ihre Fahnen geschrieben hat, die einst
eingerissenen geschäftlichen Beziehungen zu Russland, als Waffe in
einem Wirtschaftskrieg zur ökonomischen Ruinierung des Putin-Staates
einzusetzen - worüber die Wirtschaftssanktionierer durchaus
schädliche Rückwirkungen auf ihre eigenen Ökonomien einkalkuliert
haben, wenn der umfangreiche Rückgriff auf billiges Russengas
gekappt wird und an dessen Stelle teurerer und damit die
Geschäftsrechnungen der eigenen Kapitalisten durcheinanderbringender
Ersatz her soll.
Jeder Einwand von politisch unverdächtiger Seite, der Einfall in die Ukraine könne überhaupt einen Bezugspunkt zu den Interessenlagen anderer Mächte haben, damit zu tun haben, wie der Westen mit seinem Kriegsbündnis Nato Russland weltpolitisch zu marginalisierten trachte, wird als „Entlastungsargument“ für Putin gnadenlos abgeschmettert: die Atomkriegsdrohungen könnten mit den westlichen Waffenlieferungen zu tun haben, die Nato habe Russland provoziert – all dies zähle absolut nicht.
Putin sei „sich selbst genug“ oder:
„...Sie haben ohne Not und ohne Bedrängnis, aber mit imperialer Gebärde ein Nachbarland überfallen...“
ist der Nonsens, das politische Wirken eines Putin auf Größenwahnsinn, Zerstörungswut, Eroberungsdrang pur herunterzubrechen, der alles niedermachen will, was uns gut und teuer ist, also die vollständige Ausblendung jedes realpolitischen Kontextes, in dem der Russenstaat mit einem gegnerischen Part steht, damit eben, welche tatsächlichen Bedrohungen von dem ausgehen, dass der Russe meint, einen akuten Fall von Notbremse ziehen zu müssen per Waffengang gegen einen Vorpostenstaat des Westens, der Ukraine, nämlich so längst eingemeindet als westliche Speerspitze vor der Haustür Russlands:
„...Putin will die liberale Demokratie beerdigen. Er greift den Lebensstil Europas an, seine Sicherheit und seine wirtschaftlichen Lebensgrundlagen. Er will mit einem Gasembargo Deutschlands industrielle Basis zerstören. Er will Kontrolle über den Kontinent... Ein hemmungslos imperial ausgreifendes und kriegführendes Russland wird zur Bedrohung für ganz Europa und die Welt...“
All das, was mal vor dem Krieg an normalen Beziehungen zwischen Staaten vonstatten ging, ist keiner Erklärung für sich würdig, sondern wird falsch im Brennglas eines kriegerischen Übergangs begutachtet, nach der dummen Logik: weil Putin jetzt auf Krieg mache, sei es rückblickend, im Lichte des militärischen Austragens von Unverträglichkeiten im Verhältnis von Russland zum Westen bloßes Getue seitens Russlands gewesen, wenn es auf zwischenstaatliches Zusammenwirken aus war. Es wird in hetzerischer Einfältigkeit behauptet, der Putin-Staat sei eigentlich schon immer aufs militärische Zuschlagen geeicht gewesen, das zivile Mitmachen auf der Weltbühne bloß vorgetäuscht und damit unterschlagen, was im Frieden sich wie als Gegeneinander staatlicher Konkurrenten abzeichnet, dass Staaten zu den Waffen greifen, und wie v.a. der Gegenpart Russlands daran beteiligt ist:
„...Damals tat er so, als wolle er gute Beziehungen mit dem Westen aufbauen. Er sprach von Demokratie und Zusammenarbeit, von gemeinsamer Bekämpfung des Terrorismus und wirtschaftlicher Kooperation...“
Der tatsächliche Inhalt der ach so friedlichen Staatenkonkurrenz war, dass Russland sich einklinkte als mitbestimmende bedeutende Macht in allerlei Weltangelegenheiten, den kapitalistischen Weltmarkt als einer unter Federführung der USA zu nutzen trachtete für sein ökonomisches Fortkommen. Nach Russland hätte sich weltpolitische Zufriedenheit darüber einstellen können, dass man es schlicht mitmachen ließ beim konkurrenzlerischen Gerangele auf dem Weltmarkt und dem weltordnerischen Gestalten. Bloß: entgegen dem ideologisch Gestanzten vom friedlichen Ausgleich stand das Mitmachen Russlands von Seiten der mächtigen Konkurrenten von Anfang unter dem Vorzeichen, sich Russland gefügig zu machen, einzubinden in die Weltordnung, für die der Westen die Bestimmungsmacht beansprucht. Gestört haben sich die USA von Anfang an den waffenmäßigen Fähigkeiten Russlands und damit daran, autonom als politische Weltmarkt zu agieren. Die friedlich-schiedliche Benutzung Russlands ging deswegen stets einher mit dessen militärischer Einhegung: der Aufbau feindlicher Vorposten des Westens entlang der russischen Grenzen legen Zeugnis davon ab, was der Nachfolgestaat der Sowjetunion im Falle der Ukraine, mit deren Präparierung als westliche Speerspitze und damit der Entwertung der militärischen Potenzen Russlands der Putin-Staat als absolut nicht mehr vereinbar mit seiner souveränen Existenz befand.
Der hetzerische Tenor des Bestellers von Thumann macht konsequent auch nicht Halt vor regelrechter Geschichtsklitterung:
„...Wladimir Putin nimmt Rache. Der russische Herrscher sieht den Zerfall der Sowjetunion und den geschrumpften russischen Nationalstaat nicht als Befreiung, sondern als Katastrophe an. Sein Krieg ist auch ein Versuch, die Zeit zurückzudrehen...“
Die hartnäckige Weigerung zuzugestehen, W. P. „...handele.. in Reaktion auf größere, wichtigere Mächte...“, das Spinnerte einer automatischen Hinwendung von „autoritärer Gewalt“ in „Gewalt nach außen“, von „Autoagression“ (sowas wie eine grundlose gewalttätige Umtriebigkeit) in „Gewalt gegen die Nachbarn“ macht aus den Autokraten Putin einen Restaurator einstiger sowjetischer Größe und wohl noch darüber hinaus. Als ob nicht die Jelzins und Putins überzeugte Vertreter der Linie waren, dass das Sowjetsystem als ineffizienter Moloch auf den Misthaufen der Geschichte gehöre und in Anhimmelung der Effektivität marktwirtschaftlicher Wirtschafterei und Staatsmacherei auf neuer kapitalistischer Grundlage das Kernland der ehemaligen SU zu neuer nationaler Größe zu führen im Programm hatten. In den oben gekennzeichneten ideologisch vernagelten Kopf eines Hetzers Thumann will dann natürlich absolut nicht hinein, wie das jetzige kapitalistisch gewendete Russland bei den alteingesessenen und mit der Abdankung des Sowjetreiches auf der geschichtlichen Siegerstraße sich wähnenden Imperialisten der westlichen Hemisphäre aufläuft, weil und insofern die neuen Russen mit ihrer Wende sich von einer entscheidenden Machtgrundlage, der absoluten Waffe, ihren Atomgeräten, allerdings nicht verabschiedet haben, nämlich als Instrumente zur Infragestellung der weltpolitischen Vorherrschaft des Westens, der keinen anderen Hegemon neben sich duldet.
Alle
Zitate entnommen aus der Einleitung zu:
Michael Thumann, REVANCHE,
Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat
Verlag C.H.Beck, 2023