18.11.20 – Reform des Infektionsschutzgesetzes:
Neues Infektionsschutzgesetz: ein Werkzeugkasten zur Effektivierung staatlicher Durchsetzung in einer „Pandemischen Lage“
Bisher soll der oberste Infektionsschützer gemäß einer ‚Generalklausel‘ nach Infektionsschutzgesetz tätig geworden sein: per Verordnung konnten Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie erlassen werden. Von dieser ‚Generalermächtigung‘ soll nun abgegangen werden: Mögliches seuchenpolitisches Vorgehen soll näher gesetzlich untermauert, darüber mehr ‚Rechtssicherheit‘ geschaffen werden.
Künftig müsse jede Maßnahme, jede Einschränkung des ‚gewohnten Lebens‘ klar begründet werden. Es werden zudem in neuem § 28a seuchenpolitische Maßnahmen im einzelnen aufgelistet: Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, Schließungen. Es soll darüber hinaus die Befristung der Maßnahmen vorgeschrieben werden, um regelmäßig die Notwendigkeit und Angemessenheit derselben zu überprüfen.
Offensichtlich zielt die Reform auf mehr politische Handlungsfreiheit: statt „notwendige Schutzmaßnahmen“ nach ‚Belieben‘ der Behörden oder Länder per Verordnung auf der Grundlage der Generalklausel nach §28 zu erlassen: mehr Verlässlichkeit für nachhaltigen staatlichen Einsatz an der Seuchenabwehrfront mit Rückgriff auf mehr oder weniger näher definierte seuchenpolitische Instrumente. – Möglichen Vorbehalten des Parlaments wird aus den Weg gegangen: es stellt sich ausdrücklich hinter die Anti-Pandemiepraxis der Exekutive gemäß geschaffener Gesetzesgrundlage. Die reibungslosere Durchsetzung des ‚Anti-Pandemie‘-Konzepts zielt auch auf das Dazwischengrätschen der Gerichtsbarkeit; die Seuchenabwehr soll so von vornherein gerichtsfester gemacht werden: man kann sich denken, wie demnächst ein Großteil anhängiger Klagen gleich als unbegründet abgewiesen werden dürfte – bzw.: die Vorgaben der Reform in Sachen Art und Begründetheit der Maßnahmen sollen für eine einheitlichere, zustimmende Rechtssprechung sorgen:
„...Im
Gesetz steht
jetzt, dass die Verordnungen zu befristen und mit einer
allgemeinen Begründung
zu versehen sind. Letzteres dürfte die Arbeit der Gerichte
erleichtern und zu
einer einheitlicheren Rechtsprechung führen. Denn bisher wurden
die
Corona-Maßnahmen ohne jeden Begründungstext erlassen, weshalb
jeder Richter
sich im Rahmen der Verhältnismäßig-keitsprüfung selbst
zusammenreimen musste,
was die jeweilige Landesregierung mit der Maßnahme bezwecken
wollte und ob die
Einschränkungen für diesen Zweck erforderlich sind.“
(Quelle:
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/corona-massnahmen-das-steht-im-neuen-infektionsschutzgesetz-17058280.html)
Die vorgetragenen politischen Begründungen sind allerdings eher ideologischer Natur: die Reform zeuge von einer Beschränkung der staatlichen Handlungsvollmachten statt Belieben oder sogar Willkür – mit dem Hinweis, dass seuchenpolitisches Vorgehen wohlbegründet sein müsse. Dies ist Humbug: Die Wohlbegründetheit ist die Banalität, dass sich der hoheitliche Seuchenwächter einzig von der selbstverordneten herrschaftlichen Zweckmäßigkeit seiner Pandemiebekämpfung leiten lässt; die Einschränkungen im Verkehr des nationalen Standortes sollen eben in dem Sinne zielführend sein, dass sie für die Zurückdrängung der Virusverbreitung tauglich sind.
Dass nach parlamentarischer Opposition, wie die FDP, mit renoviertem Infektionsschutzgesetz ein Blankoscheck vorliege, moniert den Blödsinn, dass der Gesetzgeber nicht noch konsequenter sich an eigene Vorgaben in Sachen Art, Form und Ausmaß der epidemiebedingten Beschränkungen „fesseln“ lassen würde.
Insgesamt ist der Streit Blankoscheck versus Fesselung des infektionsschutzpolitischen Handelns auf der Ebene herrschaftlicher Prozeduren in kapitalistischen Demokratien angesiedelt und damit über das Wie des obrigkeitlichen Waltens die Sache desselben durchgewunken: nämlich Schaden abwenden vom kapitalistischen Standort mit seinem ausgiebigen geschäftlichen Verbrauch lohnarbeitender Arbeitskraft zur Bereicherung der ökonomisch und politisch Herrschenden, überhaupt mit seiner eingeforderten Dienstbarkeit der Untertanen zu deren gesicherten materiellen Schaden für die Nation.