Sozialreformen im 21. Jahrhundert
- und eine Abgrenzung zu deren Betreibern, Rechtfertigern, (Rechts-)Betreuern und falschen
Kritikern
Vorbemerkung
Die nachfolgende
Skizzierung handelt von der allgemeinen Ausgangslage
zu Beginn der ganzen Euphorie rund um die
Sozialreformen der sog. Agenda 2010. Die Fortschritte
des Reformwerks unter den Titeln "Umbau des
Sozialstaates/der Sozialsysteme" oder Sozialreformen
(Arbeitsmarkt-, Renten- und Gesundheitsreformen)
werden in den Rubriken Arbeitsmarktpolitik (Hartz I
bis IV), Gesundheits- sowie Rentenpolitik
abgehandelt.
Die von der SPD/Grünen-Regierung einst
eingeleiteten Sozialreformen unter der Bezeichnung "Umbau der
Sozialsysteme" - fixiert in der sog. Agenda 2010 und den
"Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt " -
markiere nach dem Selbstverständnis der Politik und der sie
begleitenden öffentlichen Meinungsbildner einen grundlegenden Umbruch
"sozialstaatlicher Traditionen". Dieser wird mit lauter Sachzwängen
wie arbeitsmarktpolitischen Einbrüchen, sog. demographischen Faktor
(den Altersaufbau der Gesellschaft betreffend), deswegen nachhaltigen
Staatshaushaltsnöten und überhaupt dem weltweiten Konkurrenzdruck
namens Globalisierung der Märkte und damit einhergehendem
unabweisbaren Anpassungsdruck etc. begründet bzw. gerechtfertigt. Dies
eben nicht etwa als kritische Feststellung gemeint, wie Lebensstandard
und Soziales von den Konjunkturen des heimischen und weltweiten
Geschäftslebens abhängig gemacht sind, sodass ein Einwand gegen
dasselbe daraus würde, sondern als unumstößlicher Sachzusammenhang.
Ein Zusammenhang, den die Politik selber herstellt: erst verfügt sie
gesetzlich die Kollektivhaftung der Abhängigen für von Wirtschaft und
Nation denen beigebrachten Notlagen in Sachen Krankheit,
Erwerbslosigkeit und Alter. Und wenn die finanzielle Grundlage des
ganzen Zwangssozialversicherungswesens wegen der von deutscher Politik
geradezu als ökonomisches Lebensmittel ins Recht gesetzten
Rationalisierungserfolge deutscher Geschäftsleute dauerhaft wegbricht,
dann führe kein Weg daran vorbei, das soziale Kollektivwesen -
für sich schon der Zynismus, den Leuten
aufzuhalsen, von einer kärglichen Gesamtlohn- und
Gehaltssumme nicht nur das aktive Arbeitsleben zu
bestreiten, sondern auch noch vorzusorgen für Zeiten des
Verdienstausfalls bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter -
um den gesteigerten Zynismus zu
ergänzen, die Vorsorge zur Privatangelegenheit zu erklären, wo doch
mal Ausgangspunkt des sozialen Betreuungswesens war, dass der einzelne
dies gar nicht leisten kann. Was hier von Staatsseite als
sachzwanghaftes Reagieren auf lauter wirtschaftlich prekäre Lagen
vorstellig gemacht wird, ist auch in der Hinsicht aufschlussreich,
dass sie eine einzige Offensive draus verfertigt und damit selber den
Handlungsbedarf in Sachen Zerschlagung der "sozialen Errungenschaften"
schafft: mit dem Programm "Senkung der Lohnnebenkosten" als Leitlinie
moderner Sozialreformen wird u.a. der Wirtschaftsstandort Deutschland
kostenmäßig auf Vordermann, also mobil gemacht für die weltweiten
Konkurrenzschlachten - aber ganz bestimmt nicht, um im Falle der
Erfolgswirksamkeit derselben sich wieder an die Verteilung von
"sozialen Wohltaten" heranzumachen!
Oder allgemeiner: Was als Abhängigkeit von den "globalisierten
Marktkräften" beklagt wird, dies wird sogleich als Geschäftsgrundlage
für den forcierten kommerziellen Schacher vom nationalen Boden aus und
für diesen, als einzige Herausforderung genommen wird; nämlich den
fremden Wirtschaftsmächten das ökonomische Leben und Überleben
schwerer zu machen, die noch eben dem eigenen nationalen
Geschäftserfolg im Wege standen.
Statt korrekt Erkärendes zu den sog. Sozialreformen des 21.
Jahrhunderts abzugeben, verstehen sich andere auf parteiische
Umsorgungen dessen, was der Sozialstaat unter der Agenda 2010 und
darüberhaus gehend an neuen Härten verordnet:
So gibt es eine Fülle von (Rechts-)Beratern, die sich
unmittelbar affirmativ zur neuen Sozialgesetzgebung stellend der
betroffenen Klientel Tipps an die Hand geben, auf welche neuen Gebote
und sozialstaatliche Zwänge sie sich einzustellen hat - oder
alternativ meinen, irgendwelche vermeintliche "Rechtslücken",
'unbestimmte', interpretationsbedürftige Rechtstatbestände entdecken
zu können mit dem Verweis der Armen und Elenden auf den Rechtsweg,
also die Erstreitung des Allerlebensnötigstens im Wege rechtlicher
Auseinandersetzung als trostlosen Existenzkampf auf die Fahnen
schreiben und so die staatliche Absicht der materiellen Schädigung der
Betroffenen durch neue Zwangsregelungen und Armutsniveaus verharmlosen
- und erst recht von den Gründen der letzteren, zu verorten in einer
kapitalistischen Standortpolitik zwecks Förderung von Kapitalwachstum,
nichts wissen wollen..
Andere Zeitgenossen befleißigen sich angesichts der aktuellen
sozialen Härten ausgerechnet der Sehnsucht nach den alten Zuständen
des "sozialen Netzes", stellen also einen Vergleich mit der
renovierten Armenbetreuung in der Weise an, dass sich die bisherigen
Zumutungen des Sozialsystems verhältnismäßig erträglicher ausnehmen
würden - wollen nichts davon wissen, wie das Verhältnis der
Konjunkturen hoheitlicher Armenfürsorge zur systemnotwendigen
Verwaltung von eben systematisch marktwirtschaftlich hervorgebrachter
Not begründet ist; die Ergründung dessen, was Sinn und Zweck des alten
Sozialhilfe- und Arbeitslosenrechts, des bisherigen Gesundheits- und
Rentensystems war und ob und inwiefern auf der Basis des staatlichen
Interesses an der Regelung der ewigen sozialen Frage es einen Übergang
von "unzeitgemäßer" zu "moderner" Armutsverwaltung gibt - dies
interessiert die sozialen Idealisten mitnichten.
Und dann gibt es noch Gewerkschaften, die wie bei allen
Tagesgeschäften der Politik ebenso bei den in Rede stehenden
Sozialreformen ihren konstruktiven Einmischungsbedarf anmelden. Die
nehmen die Titel, unter denen die neue Sozialpolitik firmiert, wie
"Integration in den Arbeitsmarkt" oder "Fördern und Fordern" als
etwas, das gut für die Betroffenen sein müsste oder sollte - wo sie
längst mitbekommen haben, dass Sozialreformen heutzutage sich einzig
als staatliche Angriffe auf das materielle Los von Armen verstehen.
Meint "Integration in den Arbeitsmarkt" die Festlegung der Leute auf
noch so trostlose Plackerei, übersetzen Gewerkschaften dies so, dass
es wenigstens auf anständige Arbeitsplätze hinauslaufen müsste - mal
abgesehen davon, dass Lohnarbeit für sich nichts Erstrebenswertes ist.
"Fördern und Fordern" dividieren sie auseinander, wonach das "Fördern"
zu kurz komme. Als ob beides laut Staatsmaxime nicht zusammenfallen
würde: sich als unproduktive Last für die Nation zu behandeln und dies
mit allerlei schikanösen Maßnahmen behördlicherseits zu fördern = zu
fordern. So geht also Gewerkschaftskritik am Sozialen: die wohlfeilen
Titel, die für die Gemeinheiten gegen das Volk stehen, als
volksfreundlichere Interpretation einklagen, also den Schein zu
erwecken, da wäre was dran zum wie auch immer gemeinten Nutzen für die
Leut!
Wiederum andere vom rechten Rand gefallen sich in der
skandalträchtigen Ausmalung des staatlich verordneten Elends - eben
nicht als Ausgangspunkt für das Vorhaben, dem Gegensatz von Arm
und Reich demokratisch-bürgerlicher Herkunft und dem staatlichen
Diktum des Erfordernisses massenhafter Armut auf den Grund zu
gehen. Sondern durch die nationalistische Brille gesehen ist für
Deutschnationale grassierendes Elend Indiz für eine Not der Nation,
brachliegendes Arbeitkräftereservoir Zeichen für den Niedergang der
nationalen Wohlfahrt, angeblich hervorgerufen durch allerlei
feindliche Umtriebe fremdländischer Herkunft oder nationalen Verrat
der demokratischen Obrigkeit. Während die bürgerlich-demokratischen
Gegenspieler das Vorantreiben der Massenarmut gerade als probates
Mittel der Geschäftstauglichkeit des Standorts betreiben; ihnen
darüber und andere Vorhaben wie neue arbeits-, steuer- und sonstige
rechtliche Freiheiten die Attraktion von Geschäftskapital und
hierüber der Zugewinn von ökonomischer Macht der Nation über alles
geht, geben sich Rechte nationalistisch inspiriert kritisch gegenüber
den freiheitlichen Verkehrsformen, diagnostizieren nationalen
Ausverkauf im Zuge der sog. Globalisierung, während für
demokratisch-marktwirtschaftliche Mächte das Eingehaustsein in
letztere das Adäquate zur Erlangung nationalwirtschaftlicher Größe ist
- bis die größeren oder kleineren Globalisierungsverlierer unter den
Staaten oder auch nur der graduelle Verlust von
Weltwirtschaftsmächtigkeit das Schüren wirtschaftspolitisch
Anfeindendes gegen die Gewinner zeitigt.
Eine Neue Linke, die sich als die bessere Sozialdemokratie
geriert, stimmt ein in den nationalen Konsens, dass den Armen nichts
so fehlen würde, als ausgerechnet Lohnarbeit, worin sich gerade der
ganze Grund ihrer sozialen Misere zusammenfasst - und ruft den Staat,
dem Beschützer des Lohnarbeitssystems, dazu auf, mittels
Investitionsprogrammen und dergl. dem Arbeiten-Können und -Dürfen mehr
auf die Sprünge zu helfen.
Eine kongeniale anti-materialistische Variante eher
philosophischer Denkart kommt ausgerechnet aus einer linken Ecke, die
alles und jedes unter dem Blickwinkel einer falschen Deutung des
von Zeit zu Zeit krisenhaften Gangs der nationalen und internationalen
Geschäfte als finale Krise i. S. einer Selbstaushebelung von Binnen-
und Weltmarkt subsumiert: Verdächtig nahe der bürgerlichen
Rechtfertigungstour ist die sachzwanghafte Begründung der neuen
Armuts- und Verelendungsniveaus mit der Rückwirkung der Finalität der
"Selbstzweckmaschine" namens Kapital auf die Staatshaushalte, den
Staatsmännern also gar nicht anderes übrig bleibt, als den Massen per
erklecklicher Zusammenstreichung der Überlebensmittel das nahende Ende
der Moderne spüren zu lassen (natürlich mit dem Unterschied, dass das
bürgerliche Sachzwangargument mitnichten ein Hinweis auf den Untergang
ist, sondern von dem parteilichen Interesse herrührt, mit diversen
Haushaltsmanövern die nationalökonomischen Grundlagen der Macht zu
stählen); neue Dienstpflichten für Ausgemusterte sind nicht etwa die
Art und Weise, wie der Staat die frühere Armenfürsorge radikal
fortschreibt, einiges an funktionalen Rücksichten fallen lässt und den
Leuten, wiewohl getrennt von allen normalen Gelderwerbsmitteln, unter
dem beschönigenden, zynischen Slogan "Integration in den Arbeitsmarkt"
den "Auftrag" erteilt, sich von jeder staatlichen Hilfe "unabhängig"
zu machen - sondern ein vergebliches "letztes Aufbäumen" angesichts
des unaufhaltbaren "Endes der Arbeitsgesellschaft". Diese
philosophische Manier streicht die Härte dessen durch, wie die Leute
unter strengster staatlicher Anleitung und Kontrolle dazu angehalten
werden, die Ihnen einzig als Eigentumslose zukommende Bestimmung
nachzukommen: auf Gedeih und Verderb ihre Arbeitskraft einsetzen als
Tagelöhner, Leiharbeiter, Mini- und 1-Euro-Jobber; der Zwang zur
Lohnarbeit ohne Wenn und Aber, egal, ob sie den Mann, die Frau
ernähren, hat Ihr Lebenselixier zu sein - ansonsten hat in der
Marktwirtschaft ein Eigentumsloser kein Lebensrecht (dahingestellt,
dass z.B. 1-Euro-Jobs kaum darauf berechnet sind, ihren Beitrag zur
Ankurbelung des Kapitalwachstums zu leisten, wo deren Inhaber dafür
gerade für bleibend untauglich befunden wurden; es geht ums Prinzip,
dass Eigentumslosigkeit auf Dienst verpflichtet). Dies die
unmissverständliche Klarstellung der sog. Hartz-Gesetze! Und der
bereits eingetretene national-ökonomische Effekt des drohenden
Schicksals eines Hartz IV-Kandidaten - die Drückerei auf das nationale
Lohnwesen - ist auch nicht zu vernachlässigen: das Elendsdasein im
Hartz IV-Status vor Augen, tut die Erpressung von immer schlechteren
Arbeitsbedingungen und Bezahlung gegenüber den Noch-Beschäftigten Ihre
Wirkung. - Aber das ist ja die Denke in verstaubten
Klassenkampfmustern.
Dagegen soll mit diesem Projekt der Versuch unternommen werden,
zu klären, welches staatliche Interesse hinter alten und neuen
sozialen Zumutungen steht, was die Errungenschaften der neuen
Sozialstaatsräson sind und was diese von ihrem politischen Grund und
Zweck her für die Abhängigen bedeuten - und dies entlang der
Abteilungen Hartz-Reform (insbes. Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe), Gesundheitsreform und Rentenreform. Es wird sich hier im
wesentlichen auf die Bereiche staatliche Erwerbslosenverwaltung,
Gesundheitswesen und Rentensystem thematisch beschränkt, weil hier der
sozialstaatliche Systemwechsel besonders markant wird. Andere Objekte
sozialer Betreuung wie die Familie, Arbeitswelt oder Wohnungswesen
werden ggf. gesondert berücksichtigt.
Zuschriften, die es ernst meinen mit nicht-affirmativer,
illusionsfreier Beurteilung der sozialstaatlichen Fortschritte und
insofern den Erklärungs-/Aufklärungsanspruch dieser Site bereichern
könnten, sind stets willkommen. Den endgültigen Wahrheitsanspruch hat
dieses Projekt wahrlich nicht gepachtet: Widerlegungen von
Behauptungen oder Ausführungen an dieser oder jener Stelle bzw.
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