Grundsätzliches zum sozial-marktwirtschaftlichen Rentensystem
Für das gesetzliche Rentensystem deutsch-kapitalistischer Couleur ist charakteristisch, dass der Lohn der Werktätigkeit nicht nur die materiellen Erfordernisse des Arbeitslebens, sondern – neben den Kosten aufgrund von Erwerbslosigkeit und Krankheit – auch diejenigen des Daseins nach dem Ausscheiden aus dem Werkelleben bestreiten können soll. Dies ist deshalb beachtenswert, weil der Lohn schon für sich Zeugnis für materiellen Mangel ist: er ist als Entgelt geldliche Restgröße auf den getrennt und im Gegensatz zu den Produzenten sich in Unternehmerhand akkumulierenden eigentlichen Geldreichtum. Von daher ist offenkundig, dass der Lohn nichts fürs Alter zu erübrigen in der Lage ist, der schon im Arbeitsleben das Einteilen und den Verzicht erzwingt.
Deswegen wird der Staat aktiv und richtet ein Zwangsrentenversicherungswesen ein, indem er einen Teil des Lohns direkt an der Quelle als Rentenversicherungsbeitrag einziehen lässt. Normalerweise ohne Überlebensmittel im Alter dastehend gesteht der soziale Staat nach der Lohnarbeitsphase den einstigen Lohnwerkern ein Gnadenbrot zu, das dieser denen eben verpflichtend aus ihren Arbeitsentgelten finanzieren lässt.
Der Kunstgriff, was der einzelne Lohn nicht zu leisten in der Lage ist, nun die Beitragsmasse des Kollektivs der Beitragszahler bewerkstelligen können soll, hat zum einen das Bemerkenswerte an sich, dass die aktuelle Rentnergeneration von Beiträgen der Aktiven leben würde. Der Lohn bzw. die Lohnmasse ist offenbar derart einträglich beschaffen, dass einiges an rentenpolitischen Umverteilungs- und Streckungsmanöver vonnöten sind, um den gegenwärtigen Ruheständlern ihr wie auch immer rentenrechnerisch ermitteltes Gnadenbrot zukommen lassen zu können.
Zum zweiten: die materielle Ausstattung im Alter auf der Grundlage einer prinzipiellen Mangelsituation aus dem Lohnarbeitsverhältnis heraus hat Folgen für das, was die Alten finanziell nach dem arbeitsaktiven Leben zu erwarten haben: Rentenmathematisch über Zuordnung von Renten- oder Entgeltpunkten (wo für oder gegen künftige Rente sich geltend macht die Punktegutschreibung in Abhängigkeit von Voll- oder Teilerwerbsarbeit sowie der Erreichung des Durchschnittseinkommens des jeweiligen Beitragsjahrs oder des Darunterliegens), unter Einbeziehung der Beitragszeiten und sog. Rentenwerts (wo der Bezug zu aktueller Lohnentwicklung wegen periodischen Kaufkraftverlustes der Arbeitseinkünfte in der Vergangenheit hergestellt wird) kommt zuverlässig heraus, dass man im Alter mit der Hälfte bis 2/3 früheren Nettoeinkommens, letzteres amtlich vordekretiert als Festlegung des allgemeinen Rentenniveaus, klarzukommen habe.
Mit der kapitalistischen Härte, dass jedes Überlebensmittel an dem Dienst am Kapitalreichtum hängt, machen die Diskontinuität und Prekäres im Lohnarbeiterleben sich gnadenlos geltend gegen die Rentenanwartschaften: Erwerbslosenzeiten, Teilzeit, Minijobs, Leiharbeit schlagen negativ durch auf Rentenanrechte überhaupt oder in Gestalt von elendem Altersruhegeld. Wenn die Ruheständler sodann auf ergänzende "Grundsicherung im Alter" zur Aufstockung ihrer miesen Renten verwiesen sind, relativiert dies nichts an dieser Pauperisierung am Lebensende.
Mit der
Dezimierung
des finanziellen Fundaments der sozialen Betreuung des werktätigen
Volks
vollzog der Sozialstaat ebenso im Falle der Händelung des
Rentensystems einen
Richtungswechsel: weil zu kostspielig für die nationale Wirtschaft
sollte die
Rentenversorgung möglichst nicht mehr mit Beitragserhöhungen
bestritten werden.
Die Abhängigkeit des Rentnerlebens von der nationalen Lohnsumme, den
staatlich
verabreichten Status von Rentnern als eigentlich unproduktive Kost
ließ der
Gesetzgeber das Volk in neuer herber Weise spüren: mit der
Einführung von
"Nachhaltigkeitsfaktoren" und "demographischen Faktoren",
die das allgemeine Rentenlevel allmählich auf unter 50 Prozent
hieven sollen,
mit sukzessiver Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 entlastet
sich die
Obrigkeit zum Nutzen ihrer Kapitalwirtschaft von der Bürde der
Verköstigung,
das bloße Durchfüttern von Alten, die endgültig nicht mehr gebraucht
werden für
das Geldbereicherungsregime der BRD. - Eine bedeutendere
rentenpolitische
Intervention noch vor der Agenda 2010 mit ihren „Strukturreformen“
wurde schon
Anfang der 90er Jahre angegangen: u.a. Übergang von der brutto- zur
nettolohnbezogenen Rente und Einführung von Abschlägen bei
vorzeitigem
Rentenbezug.
Und für die noch Erwerbstätigen bereitet der Staat denen eine
Verschärfung
ihrer Armut aus Arbeit, indem er ein Vorsorgegebot anordnet, aus
ihrem
Nettoeinkommen private Zusatzversicherung zu betreiben, um die
finanziellen
Löcher zu schließen, die er bei der gesetzlichen Rente entstehen
lässt. Hier
verkehrt sich einiges: war einmal sozialpolitischer Ausgangspunkt,
dass der
Lohn ein Leben nach der jahrzehntelangen lohnarbeitenden Plackerei
nicht
hergibt, deshalb die politische Hoheit zwangsversichern ließ, wird
mit privater
Vorsorge den Leuten aufgehalst, dass das Minus beim Nettoeinkommen
die Armut im
Alter mit stemmen können soll.