DGB:
Solidarität als „Ausweg aus der Krise“ – und anderes Verkehrtes
zu einer Tugend
der Konkurrenz und materiellen Not
Irgendwie hat man eine Ahnung davon, wie die Klientel eines Gewerkschaftsbundes, der Stand der Arbeiter und Angestellten, ziemlich aufgeschmissen wäre, irgendwas gegen ihren Klassengegner materiell durchzusetzen, wenn ein jeder auf sich allein gestellt wäre. Der offensichtliche Grund ist, dass sie zueinander in Konkurrenz gesetzt sind, die Gegenseite so leichtes Spiel hat, ihren ökonomischen Nutzen auf Kosten der abhängig Beschäftigen zu wahren. Solidarät hieße hier: die Konkurrenzsituation zeitweilig außer Kraft zu setzen, indem man per Zusammenschluss der Übermacht der Kapitalseite etwas entgegenzusetzen in der Lage wäre. Bloß: erstens kennt man diesen Zusammenschluss in hiesigen gewerkschaftlichen Zusammenhängen gar nicht erst als das Mittel zur durchgreifenden Beförderung des Arbeiternutzens gegen die Arbeiteranwender, nämlich angesichts einer gewerkschaftlichen Räson, die gar nicht die Beschädigung des Kapitals als einzig senkrechten Weg für die Durchsetzung materieller Belange der von dem nach Strich und Faden Ausgenutzten vorhat – weil, das Angewiesensein auf für den Arbeitermaterialismus wenig bekömmliche Arbeitsplätze erfordere Rücksicht auf diejenigen, die sie einzig wegen und für ihren Profit einrichten und zur Verfügung stellen.
Zweitens hat Solidarität soviele Varianten von Notlagen zur Grundlage, wie der DGB als Anwendungsfälle derselben aufzählt und beschreibt. Von daher verbietet es sich, „alle für einen und einer für alle“ als Prinzip hochzuhalten, weil es gar nicht die Gründe für irgendein Zusammenstehen und ebenso wenig deren Stichhaltigkeit angreift, sondern weiterhin in Kraft gehalten oder unkritisiert gelassen werden.
Drittens hofiert der DGB tatsächliche oder vermeintliche Fälle „gegenseitiger Verpflichtung, sich zu unterstützen“ (wieso „Verpflichtung“: es setzt jawohl ein Einsehen, ein begründbares Interesse und nicht weniger die Fähigkeit voraus, sich den Nöten anderer, mit denen einem gar keine Gemeinsamkeit, sogar das Gegensätzliche zueinander verbinden kann, anzunehmen), die eher von einem Unternehmer- oder Staatsinteresse zeugen, dem zuvorderst Geltung verschaffen wird:
Das Beispiel mit dem Chemiebetrieb, der eine Samstagsschicht einführen lässt, „damit alle durch die Schichtwechsel sicher arbeiten können“, soll seine Solidarität darüber erweisen, dass „dass Unternehmen trotzdem weiter produzieren kann“: dies ist die Gemeinheit, als Tatbestand von Solidarität hinzustellen, dass unter Pandemiebedingungen das Arbeiten für den Profit des Unternehmens so hinorganisiert wird, dass die Unternehmensgeschäfte möglichst unbehelligt von einer Seuche weitergehen.
Da, nämlich als originär staatliche Affäre, wo eine Sorte Unterstützung tatsächlich als Verpflichtung implementiert ist, ist dies für Gewerkschaften alles andere als eine Kritik wert, warum und wie da was als verpflichtend angeordnet wird: das Beispiel mit „der Errichtung des hochsolidarischen Sozialsystems mit Krankenkasse, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung“ ist einseitige staatliche Angelegenheit, sich den vom Kapital den Arbeiter und Angestellten verabreichten Nöten, im Falle von Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit wegen der kargen Löhne nicht vorsorgen zu können, so anzunehmen, dass sie zwangsversichert werden. Dass die Abhängigen im Dienst am Kapital verschlissen werden und je nach Geschäftslage außer Lohn und Brot gesetzt werden, ist damit erstens akzeptiert und als „hochsolidarisch“ stilisiert, wenn Arbeiter und Angestellte mittels Pflichtversicherungen für von den Ausbeutern denen beigebrachten Schäden und deren Bewältigung in die Pflicht genommen werden.
Dass in einer Pandemie die jederzeitige und allseitige Ansteckbarkeit durch einen Virus gegenwärtig ist, dies wird gefasst als „Bewusstsein für die individuelle Verwundbarkeit“ oder „Grundmodell der Solidarität“. Was hier als „neues Motiv“ im Zuge einer Seuche erschaffen sein soll, gibt in dieser Glorifizierung noch zu erkennen, dass in marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaften normalerweise das pure Gegenteil, das rücksichtlose Agieren als Konkurrenzsubjekte, herrscht. Und zudem: wie die bürgerlichen Agenten ihre Einkommensquellen bewirtschaften, als geschäftliches Treiben oder per Benutzung als lohnarbeitende Arbeitskraft für dasselbe, also an allerlei Mobilität das Bestehen als Geschäftemacher und im Falle der Abhängigen die individuelle Existenz hängt, ist es gar keine Selbstverständlichkeit, das mit dem bürgerlichen Gewerbe untrennbare Kontaktwesen von heute auf morgen wegen einer Virusausbreitung zu stornieren. Deswegen ist in dem Artikel auch sogleich die Geläufigkeit präsent, dass die gewöhnlichen Mitglieder des kapitalistischen Gemeinwesens gar nicht von sich aus umgekehrt zu ihren üblichen konkurrenzlerischen Gebaren auf einmal auf „Solidarität“ machen, sondern: eine höhere Gewalt ist unterstellt, die zuvor abgefeierte Solidarität offenbar regelrecht erzwingen muss. Allerdings wird dieser Umstand gar nicht kritisch gewendet, dass hier nicht Schutzbedürftigkeit der Insassen der Nation einfach so die Feder führt, sondern die Vorkehrungen des Staates werden davon diktiert, dass dieser in erster Linie eine Seuche als Gefahr für das kapitalistische Bereicherungsregime händelt, es diesem also um seine Schutzbefohlenen allenfalls mittelbar geht, nämlich als brauchbares Benutzungsmaterial im Falle der vielen eigentumslosen Diener. Dass die bürgerliche Hoheit als allgegenwärtige Machtinstanz über die Gesellschaft sich per diesem ihren Gewaltmonopol wie in Normalzeiten auch in einer Pandemie die Zuständigkeit dafür reklamiert, stellen die Artikelschreiber völlig unsachgerecht das Lob aus: „ohne den Staat, ohne seine Institutionen wäre die Menschheit dem Virus vollständig hilflos ausgeliefert“: wie schon begründet, geht es Staaten nicht um Schutz vor dem Virus per se; und die Gemeinheit ist, dass das Unterworfensein unter die Kommandogewalt des bürgerlichen Souveräns in allen Angelegenheiten, also auch in Sachen Begegnung einer Seuche, für ein „Bewusstsein für die Staatsbedürftigkeit“ sprechen würde. Dies leistet dem staatsbürgerlichen Fehler Vorschub, insofern man der Abhängigkeit von der höheren Gewalt erst mal nicht entkommt, diese auch sogleich als brauchbares Mittel für das Durchkommen durch die ungemütlichen Lebensverhältnisse marktwirtschaftlicher Provenienz zu nehmen bzw. dafür, sich diesen wieder unbehelligt aussetzen zu können, deren Funktionieren zum Nutzen von Staat und Kapital einzig im Fokus hoheitlicher Pandemiebekämpfung steht.
Gewerkschaften für mehr Arbeitsschutz anlässlich
Corona-Ausbrüchen im Schlachtge-
werbe – 10.5.20
Wegen sich häufender Infektionszahlen in Schlachthöfen fordern die Gewerkschaften schärfere Kontrollen und bessere Arbeitsbedingungen. Die Branche falle oft mit schlechten Arbeitsbedingungen auf. Gerade jetzt komme es auf verstärkten Arbeitsschutz an.
Wohl wissend, dass die Beschaffenheit von
Arbeitsbedingungen für kapitalistisch wirtschaftende Unternehmen
eine Frage der Kost für den Profit ist, deshalb gesundheitliche
Beeinträchtigungen beim Werkeln für den Profit nicht ausbleiben,
daraus allerdings keine Kritik wird, wie schäbige
Arbeitsverhältnisse und Gewinnwirtschaft zusammengehören,
verfolgen Gewerkschaften schon immer die Linie: den Staat als
politischer Vorsteher der Gewinnmacherei als die richtige
Adresse angehen, gegen das unternehmerische Kostenkalkül
Auflagen zu erlassen – wiewohl die von allerlei Rücksicht auf
die Kapitalrechnungen künden, denen von Staats wegen nicht in
die Quere zu kommen. – In einer Pandemie, wo im Zuge eines
gesundheitspolitischen Notstands besondere Vorkehrungen zu deren
Einhegung getroffen werden, entdecken Gewerkschaften dies als
einzige Gelegenheit, den Staat endlich einmal was abzutrotzen,
was der sonst nicht auf der Agenda hat, gleich in einem
generelleren Sinn eigentlich schon ewig anstehende
gesundheitspolitische Schutzbedürfnisse einzufordern – und
bemerken nicht, dass wegen Corona gar nicht die sonst üblichen
kapitalverträglichen Rücksichtnahmen außer Kraft gesetzt sind:
was dem Staat da einleuchten würde an neuen Vorgaben fürs
Schlachterhandwerk, gehorcht allenfalls dem, was wegen dem Management
der Epidemie geboten erscheint und nicht weil der jetzt
sein Herz für geschundene lohnarbeitende Schlachter entdeckt *)– bzw.
anknüpfend an neuere Entwicklung mit Datum vom 20.5.20: dass der
Aufseher u.a. über das Fleischerhandwerk an die Vertragsformen
dort rangehen will, Werkverträge und Leiharbeit verbieten will
wegen einer hoheitlichen Diagnose einer generelleren „Kultur der
Verantwortungslosigkeit“, macht mit letzterer einen
Zusammenschluss mit einer epidemiebezogenen Sorglosigkeit im
Umgang mit den Billigarbeitern; ein sozusagen
pandemieübergreifender staatlicher Nachdruck in Sachen
ordentlicher Behandlung bleibend Ausgebeuteter, sodass den
Fleischkapitalisten dies wieder viel zu tricksen gibt, wie unter
neuen, auch teureren Geschäftsbedingungen die spitzenmäßigen
Weltmarkerfolge mit Fleischprodukten zu sichern wären.
__________________________
*)Nach Arbeitsminister Heil sei Fleischergewerbe bedeutende Branche. Da kann man ja mal nachhaken, wodurch: dadurch, dass die sich mit konkurrenzfähigen Billigpreisen auf den (Welt-)Märkten schlägt. Und worüber werden Dumpingpreise möglich? Ja, genau: durch die extreme Billigkeit, intensive/extensive Nutzung der angewandten Arbeit von Rumänen und Bulgaren.
Zur
Tarifrunde 2020:
Der
DGB als aktiver Mitbetreuer der "Herausforderungen" von
'Digitalisierung' und
den kapitalistischen Geschäftsoffensiven unter dem Titel
'Klimaschutz' -
2019/20
Pünktlich
zum
Einläuten der Tarifrunde 2020 gibt die IG Metall
Anschauungsmaterial für konstruktives Mitmachen bei der
Bewältigung der von den Staats- und Wirtschaftsmächtigen
angesagten und tatkräftig in die Tat umgesetzten sog.
Herausforderungen unter den Titeln Digitales und Klima -
irreführend insofern, dass Staat und Kapital den Erfordernissen
neuer Konkurrenztechniken und Geschäftssphären nicht einfach
hinterherhinken oder einfach so ausgesetzt sind, sondern
zielstrebig als Inhalt ihres Interesses sich zu eigen machen. Und
was da als zu Bewältigendes angemahnt wird, ist von sehr gegensätzlicher
Natur: je nach dem, wer als Kommandeur geldvermehrender Betriebe
eben deren Zweck gemäß sich sämtliche Mittel des
ökonomischen Kräftemessens in der Marktwirtschaft zu eigen macht
oder wer schlicht
abhängiger Betroffener davon ist, der die Konsequenzen
unternehmerischer 'Modernisierungen' zu tragen hat in Gestalt der
Verpflichtung auf entsprechende Anpassungsleistungen, nämlich
immerzu nach Qualität und Quantität die geforderten
Arbeitsleistungen zu erbringen, mit i.d.R. lohnsenkender
Neueinsortierung in die Lohnhierarchie - oder, was der
entscheidende Sinn betrieblicher Rationalisierung unter
marktlichen Vorzeichen ist: das Absurde, dass mit der
Perfektionierung von Produktionsabläufen die Arbeit nicht
erleichtert und weniger wird und dafür ein Gewinn
an freier Zeit herausschaut, sondern mit der Einsparung von
Arbeitskraft oder -menge diejenige der Bezahlung verfügt wird,
also eine einzige existenzielle Katastrophe für Angehörige
kapitalististischer Betriebe ist. - Und der DGB
mit einer seiner größten Einzelgewerkschaften IG Metall
erdreistet sich anno 2020 zu dem Sonderangebot an die
Metallwirtschaft, nach einer Niedriglohnrunde nach der anderen
für 2020
gleich gar keine Lohnforderung aufzustellen. Deutsche
Gewerkschaften sind so sehr Fanatiker der Lohnarbeit, dass sie für die
unternehmerische Gnade der Zurverfügungstellung eines
Ausbeutungsplatzes gleich ganz auf Geld, selbst in der Form von
allenfalls Entschädigung für geleistete Mehrarbeit und
Preiserhöhungen zu verzichten. Der DGB weiß einerseits nur
zu gut, wie seine Arbeiter und Angestellte auf jeden Cent
angewiesen sind und verlangt ihnen die Frechheit
ab, um des Arbeitenkönnens für fremden Reichtum der
Betriebseigner willen überhaupt sollten
sie davon Abstand nehmen, die schönen Arbeitsplätze danach zu
begutachten, weshalb sie drauf angewiesen sind:
Geld zum Leben. Mit dem Extraangebot zur Tarifrunde 2020 stellen
DGB
und Untergewerkschaften in Rechnung und akzeptieren schon immer,
wie dass, was für die meisten Existenznotwendigkeit ist, für
Unternehmer als Lohnkost für sein rentables Wirtschaften taugen
muss (von abhängiger Arbeit leben zu müssen,
verträgt sich also nicht damit, dass Kapitaleigentümer sie sich
seinem ökonomischen
Zweck Bezahlung gegen Erwirtschaftung von Profit
unterwirft) - und offeriert denen, gegen deren eigentliche Rechnungen, so
förderlich wie es ihrer Geldvermehrung ist, bezahlte Arbeit
wegzurationalisieren, Rücksicht walten zu lassen
dahingehend, jedenfalls nicht im großen Stil oder massenhaft den
Lohnabhängigen
ihre Existenzgrundlage zu nehmen mit im Gegenzug des
gewerkschaftlichen Angebots von Lohnverzicht. DGB gesteht der
nationalen Unternehmerschaft ihren beständigen Trieb nach
Wachstum ihres
Kapitals zu und will dies irgendwie unter einen Hut
bringen mit den materiellen Erfordernissen der Belegschaften
- was eben nur geht darüber, dass letztere auf jeden Fall das
Nachsehen haben. Er hat vor, alternative Weisen der Verabreichung
von Schäden für die Werktätigen zusammen mit den
Betriebsführungen auszuhandeln: wenn weniger Bedarf
nach geldschaffender Arbeit von Kapitalseite her besteht, könnte
man nicht,
statt gleich Entlassungen anzuvisieren, nicht auf
Arbeitszeitverkürzung (jawohl mit Lohnkürzung, wenn sich
dies
statt gänzlicher Freisetzung von Arbeitskraft rechnen soll) oder
Kurzarbeit zu machen (eine bezeichnende Verknüpfung der Not von
Erwerbstätigen, der Schonung der Sozialkassen und eines
vorauseilend vorgestellten Unternehmensnutzen:
den Unterhalt für die Firmen eigentlich Unbrauchbarer nicht vollständig
der
Arbeitslosenkasse
aufhalsen, sondern teilweiser Lohnersatz aus derselben dafür,
dass die Unternehmer
die
noch
kaum Verwendbaren auf die Umwälzungen im Zeichen des Digitalen
und Klimas hin zurichten). Letztlich mag dies glauben wer will:
die neue unternehmerische Realität dürfte einiges an
Erwerbslosenmasse und haufenweise Prekäres an
Beschäftigungsverhältnissen als deren neuen Standard
produzieren.
Zeitschrift
"Einblick"
Nr. 7/2019, S. 3:
"Was nützen
Arbeitsplätze, wenn Natur und Klima zerstört sind?"
In dem Satz wird die Zerstörung von Natur
und Klima als schlechte Bedingung für die kapitalistische
Produktion besprochen, der gerade die Rücksichtslosigkeit gegen
die natürlichen Voraussetzungen wegen des Profits eigen ist.
Diese Ungereimtheit erklärt sich von daher, dass der DGB
wohlwollend das kapitalistische Produzieren unter der
Bezeichnung Arbeitsplätze in ein Lebensmittel für die abhängig
Beschäftigten umlügt. Das wirkliche Verhältnis von bürgerlicher
Produktionsweise und Umweltruinierung kommt also gar nicht erst
ins Blickfeld, sondern die Gewerkschaft verschwafelt das
Kapitalistische am Standort in eine Veranstaltung des Ausgleichs
"verschiedener Interessen".
Wie in den Bereichen Arbeitsbedingungen, Wohnen und Rente
qualifiziert sich der DGB ebenso in Sachen Klima und Natur dazu,
dafür Sorge zu tragen, dass "auch zukünftige Generationen gut
leben und arbeiten können" (ebd. - welches Zitat allerdings im
Kontext der Digitalisierung steht, wo die Unterwerfung unter
neue Arbeitsverhältnisse als "Ausgleich" wahrheitswidrig
hingestellt wird). Sämtliche schädliche Wirkungen der
kapitalistischen Geschäftemacherei werden so thematisiert, dass
unter gewerkschaftlicher Beteiligung am "aktiven Strukturwandel"
(ebd.) unter Beibehaltung der Gegensätze und Härten für die
Arbeitnehmer Kapitalismus als heimatliches Gefilde für
diejenigen zu pflegen wäre, die für nichts anderes denn als
Material für die herrschenden Interessen von Kapital und Staat
eingeplant sind.
DGB
zu 100. Jubiläum der ‚Sozialpartnerschaft‘-Zeitschrift
Einblick/Nov. 2018:
Der DGB als Fanatiker des sozialen Friedens
Schon seit
Jahren gibt es eine Tendenz seitens bundesdeutscher Unternehmen zu
sog. Tarifflucht, womit sie sich die Freiheit, den Lohn als Waffe
in der Konkurrenz einzusetzen, eben jenseits irgendwelcher
tariflichen Bindungen, nehmen. Es ist außerdem bekannt, dass die
Gewerkschaften selber unter Anerkennung wie auch immer definierter
betrieblicher ‚Notlagen‘ mit sog. Öffnungsklauseln den Betrieben
ermöglichen, von tariflichen Standards abzuweichen.
Zu einem 100. Jubiläum meint der DGB, sich angesichts, entgegen
dieser Realität für tarifliche Bindungen oder
‚Allgemeinverbindlichkeit‘ von Tarifverträgen aufzubäumen.
Zum ersten kommt es ein bisschen darauf an, wie Tarifverträge
beschaffen sind, die allgemeine Geltung haben sollen – und da ist
zu konstatieren, dass Gewerkschaften immer schon Lohnzurückhaltung
geübt haben, immer schon in Rechnung gestellt haben, dass
Lohnforderungen irgendwie mit den Profitkalkulationen der
Unternehmen zusammengehen sollten, also das materielle Interesse
der Lohnabhängigen eher auf der Strecke blieb/bleibt.
Bemerkenswert
bei der Werbung für mehr Tarifbindung ist, dass alles Gründe für
sie vorgetragen werden, die welche für den Unternehmernutzen sind:
Wer damit hausieren geht, dass Tarifbindung für „gleiche
Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen“ sorge (S. 1), dem ist
offenbar weniger ein Problem, dass, wenn die Unternehmer
Lohndumping versuchen, der Schaden bei Arbeitern und Angestellten
liegt, und dem deshalb über entsprechende Tarifgestaltung und
–bindung ein Riegel davor geschoben werden sollte, die Arbeiter
per Lohndrückerei gegeneinander aufzubringen: nein, es wird das
Tarifgefüge als verlässliche Kalkulationsgrundlage für die
unternehmerische Konkurrenz über die jeweilige Branche hinweg
betont.
Und: es würden mit Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen die
unternehmerischen „Transaktionskosten minimiert“
und „betriebliche Verteilungskämpfe vermieden“ (ebenda).
Der DGB ist sich nicht zu schade, explizit mit dem Hinweis auf
„gesellschaftlichen Zusammenhalt“ (ebenda), den Tarifbindung
stifte, zum reibungslosen Gelingen der bundesdeutschen
Profimaschinerie beizutragen.
Fragt sich also eins ums andere Mal: wer braucht solche
Arbeitnehmervertretung, die sich derart offenkundig von den
materiellen Notwendigkeiten der in ihr Organisierten emanzipiert
hat?